Auch eine Art der „Freiarbeit“

So sieht es aus, wenn wir die Pferde von der Weide holen.

Ich liebe es, die Pferde auf die Weide zu bringen und genauso sehr liebe ich es, sie von dort in den Stall zu holen. Und das nicht nur, weil unser Triebweg wunderschön gelegen am Waldrand entlang führt, ich die Vögel singen höre und nicht selten ein Reh (zur Zeit mit Rehkitz) oder Hase meinen Weg kreuzt.

Eigentlich off-topic, aber so süß…

Bei uns laufen die Pferde auf einem eingezäunten Weg vom Stall zu den Koppeln und zurück. D.h. sie werden nicht am Halfter geführt und ich nutze den Weg als tägliche Übung in Sachen Kommunikation.

Die Stuten auf dem Weg zur Weide.

Wir versuchen, dass unsere Herden eine möglichst harmonisch Herdenstruktur bilden. Zu erklären, wie wir das zu erreichen versuchen, führt hier zu weit.

Auf dem Triebweg kann ich die Herde beobachten und die Beziehungsgeflechte und Kommunikationsarten auf mich wirken lassen. Natürlich versuche ich, mit der Herde möglichst verständlich zu kommunizieren. Im Hinterkopf habe ich dabei die wunderbaren Videos und Erzählungen von Marc Lubezki.

Pferde nutzen sehr selten akustische Signale. Eine klassische Situation, in der Pferde ein akustisches Signal nutzen, ist der Standortwechsel. Möchte ein Pferd den Standort wechseln, so teilt es dies der Herde durch ein Brummeln mit. Das simuliere ich durch meinen Ruf „Na komm“. Dann kommt der Entscheidende Teil: Warten!

Natürlich könnte ich versuchen, die Sache zu beschleunigen, indem ich auf die Weide laufe und die Pferde vor mir her treibe. Aus sieben Jahren Erfahrung kann euch euch verraten, dass dieses Vorgehen mich und die Pferde stresst, eine Menge Energie kostet und keine Sekunde Schneller geht!

Bei Bedarf wiederhole ich meinen Ruf. Blickt ein Pferd aus der Herde dabei auf und zu mir hin, so senke ich den Blick und stellte mir vor, dieses Pferd in meinen Bauchnabel einzusaugen. Vielleicht mache ich zusätzlich einen kleinen Schritt rückwärts oder verlagere auch nur das Gewicht ein wenig nach hinten.

Da die Zusammensetzung unserer Herden zum Glück oft lange Zeit sehr konstant ist und ich die Möglichkeit habe, ihre Interaktionen täglich zu beobachten, weiß ich genau, welches Pferd welche Aufgabe in der Herde erfüllt. Meist gibt es ein Pferd, das die Aufgabe hat, vorneweg zu gehen. Und meist gibt es 2 oder 3 Pferde, denen die andern Pferde gerne folgen.

Daraus ergibt sich, dass ich sprachlich und körpersprachlich (Blickkontakt) gezielt diese Pferde anspreche. An den meisten Tagen läuft es dann so, wie in dem Video zu sehen: ein bis zwei Pferde bewegen sich gemächlich in meine Richtung, die Anderen folgen nach und nach.

Es kommt jedoch vor, dass die Pferde nicht zum Ausgang kommen möchten. Manchmal kann ich erkennen, dass sie zwar zum Stall möchten, aber den Ausgang nicht passieren wollen. Ich kann mir vorstellen, dass im Bereich des Ausgangs während der Weidezeit vielleicht Wildschweine im Wald waren. Manchmal ist es auch nur ein umgefallener Baum, der sie ängstigt. Dann hat es sich bewährt, gemeinsam mit dem Pferd, das die Aufgabe hat vorneweg zu gehen, die „Gefahrenstelle“ zu passieren.
Hierzu benutze ich manchmal einen Strick (oder Schal, wenn ich gerade keinen Strick dabei habe), um das Pferd zu führen. Oft reicht es aber schon, die Hand zur Pferdenase hin zu strecken, bis das Pferd sie von sich aus berührt, sich dann zum gehen abzuwenden und vorneweg zu laufen. In ganz vielen Fällen folgt dieses Pferd dann mir und der Rest der Herde dem Pferd.
So gehen wir gemeinsam durch den Ausgang, bis ich den Eindruck habe, dass die sich Pferde nun alleine weiter trauen. Dann muss ich wieder ans Ende der Herde, um Weidetore zu schließen und bummelnde Nachzügler zum Aufschließen zu überreden.

Vor ein paar Tagen ist Marc Lubetzkis neues Buch mit dem Titel „Im Gespräch mit wilden Pferden“ herausgekommen. Bestellt ist es und vermutlich wird mein Wissen und mein Gefühl für die Kommunikation mit Pferden beim Lesen einen Quantensprung machen. Und ich muss den Blogbeitrag anschließend komplett überarbeiten 😉
Trotzdem wollte ich euch meine persönlichen Beobachtungen und das schöne Video nicht vorenthalten.

Themenabend mit Marc Lubetzki

Marc Lubetzki ist ja bereits Routinier in Bezug auf Online-Vermittlung seiner Inhalte und da durch das Corona-Virus derzeit keine Präsenzvorträge möglich sind, hat er am 18.4.2020 seinen Vortrag zum Thema „Die ideale Zusammenstellung von Hauspferdegruppen“ ins Netz verlegt. Das hatte für mich den Vorteil, dass ich daran teilnehmen konnte. Insgesamt waren etwa 70 Teilnehmer online.

Zunächst hat Marc die verschiedenen Herdengrößen vorgestellt. Zwei Pferde sind bereits eine Herde. Auch in der Natur gibt es Herden, die nur aus zwei Tieren bestehen. Häufig handelt es sich um einen jungen Hengst oder einen, der keine größere Herde möchte und eine Stute.
Eine häufig vorkommende Herdengröße ist 8-12 Pferde, diese Gruppen sind sehr stabil und es gibt in der Regel einen Althengst.
In großen Herden mit 35 bis 40 Tieren toleriert und braucht der Althengst andere Hengste zu seiner Unterstützung. Die Strukturen sind etwas lockerer, häufig bildet eine Gruppe älterer Pferde den konstanten Kern der Gruppe, während die „jungen Erwachsenen“ eher mal die Herde wechseln. Dieser Wechsel ist ein fließender Übergang, der sich über Tage und Wochen hinzieht und die „neue“ Herde ist auch nicht völlig fremd, sondern eine Herde aus dem Herdenverband.
Dann gibt es natürlich noch die Junggesellengruppen.

Im zweiten Teil haben Marc und seine Frau Eike die fünf Elemente aus der traditionellen chinesischen Medizin vorgestellt und anhand von Beispielen gezeigt, welche Eigenschaften und Merkmale der Pferde sich welchen Elementen zuordnen lassen. Alle gezeigten Videos wurden innerhalb der gleichen Herde aufgenommen und haben die Typen sehr schön illustriert.

Holz: ein Pferd im Holz-Typ ist sehr aktiv und kontaktfreudig. Ein typischer Holz-Hengst, wie er im Video gezeigt wurde, hat eine große Herde und ist sehr „tolerant“. Er spielt viel mit den Junghengsten.
Wichtiges Sinnesorgan: Augen

Feuer: Ein Feuer-Pferd ist aktiv, neugierig und mutig. Aber auch wankelmütig und hat eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Bei Stuten ist es häufig ein Tier, welches voraus geht und die Umgebung erkundet. Ein typischer Feuer-Hengst hat keine eigene Herde.
Wichtiges (Sinnes)Organ: Zunge

Erde: das Erde-Pony ist üppig: massiger Körper, runde Formen, viele Haare. Es ist gesellig, ruhig, energiesparend und leichtfuttrig. „Erde erdet“ und so ist das Erde-Pferd ein verbindendes Pferd, sowohl innerhalb der Gruppe als auch zwischen den Herden. Bei Überforderung, z. B. zu großer Herde, neigt es zum „büffeln“.
Wichtiges (Sinnes)Organ: Maul

Metall: das Element Metall steht für Beständigkeit und Eleganz. Hengste, die im Metall-Typ stehen, können große Herden führen. Da sie sehr gut einschätzbar sind, schließen sich andere Pferde ihnen gerne an. Sie sind eher unauffällig, haben einen langen Körper und sind schmal von der Statur.
Wichtiges (Sinnes)Organ: Nase

Wasser: ein Pferd im Wasser-Typ ist gerne für sich, ist vorsichtig und zurückhaltend. Oft sind sie die „Alarmanlage“ der Herde. Wasser-Pferde sind sehr geräuschempfindlich und wollen wenig körperliche Nähe.
Wichtiges (Sinnes)Organ: Ohren

Manche Typen ergänzen sich und passen somit gut zusammen. Zum Beispiel kann der Holz-Typ bei zu viel Belastung aus der Balance geraten und ein Wasser-Typ bringt Stabilität und Ruhe. Metall kann starr werden und der Feuer-Typ bricht die Starre auf.

Natürlich sind die Elemente eine Annäherung und jedes Pferd hat seinen ganz individuellen Charakter, in dem sich auch Elemente mischen können.

In der Natur ist es die Aufgabe des Althengstes, die Herdenmitglieder harmonisch zusammenzustellen und auch die Größe der Herde wählt er so, dass es zu ihm passt und er seine Aufgabe in der Herde gut erfüllen kann. Für uns Menschen ist es schwierig, diese Aufgabe ebenso gut zu erfüllen, denn wenn wir Herden zusammenstellen, spielen auch andere Faktoren als Harmonie eine Rolle und wir sind auch nicht 24 Stunden am Tag in der Herde. Dennoch können wir versuchen, ein paar Faktoren zu berücksichtigen.

Was können wir daraus für unsere Hauspferdeherden lernen?
Konflikte innerhalb einer Herde gibt es in der Natur nicht. In unseren von Menschenhand zusammengestellten Herden sollten wir sicher stellen, dass kein Pferd permanent aus der Herde verjagt wird. Dann passt es nicht in die Herde und leidet darunter. Ebenso sollte es nicht regelmäßig vorkommen, dass Pferde nach einander ausschlagen. Marc hat in Bildern und Videos den Unterschied zwischen Spiel und Ernst gezeigt, das kann ich jetzt nicht so schön illustrieren. Wichtig ist, dass die typischen „Spielchen“ sich eher „vorne“ abspielen (Steigen, Wadenbeißen,…) und durch ein gemeinsames Laufspiel aufgeöst werden. Tritt ein Pferd regelmäßig hinten aus, meint es das nicht spielerisch. Das wäre dann ein Fall, in dem wir in die Herdenzusammensetzung eingreifen müssen.

Pferde fressen in der Natur weit auseinander und ruhen dicht zusammen. Lässt sich dies in der Haltung übernehmen, wäre es wünschenswert.

Hat man häufiger Wechsel in der Herde, z.B. weil man einen Pensionsstall betreibt, so wäre man mit großen Herden (ca 40 Pferde) näher am natürlichen Verhalten, allerdings sind entsprechend große Flächen und ein ausreichendes Futterangebot Voraussetzung. In solch großen Gruppen bilden die Pferde dann von selbst kleine harmonische Untergrüppchen. Hier kann man auch recht problemlos neue Pferde integrieren.
Bei kleineren Herden sollte das neue Pferd unbedingt zunächst getrennt von den Anderen stehen und die Möglichkeit bekommen, die Herde zu beobachten. Das tun Pferde in der Natur ebenfalls: wenn sie in eine andere Herde wechseln, so beobachten sie diese auch erst aus der Ferne.
Nach Marcs Beobachtungen dauert es ein Jahr, bis ein Pferd in seiner neuen Umgebung wirklich angekommen ist. Das deckt sich sehr genau mit meinen eigenen Beobachtungen.
Die Frage nach der idealen Zusammenstellung von Hauspferdegruppen lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten, aber ein paar Hinweise haben wir schon bekommen und zwei Tipps hat Marc noch für uns: natürlicher sind gemischte Herden mit allen Altersstufen und Rasseunterschiede sind bei der Zusammenstellung weniger problematisch als schlecht sozialisierte Pferde.

Aus den ursprünglich geplanten 90 Minuten Videokonferenz sind vier Stunden geworden und Marc hat unermüdlich alle Fragen der Teilnehmer beantwortet. Das kann und will ich nicht alles wiedergeben, was ihr hier lesen durftet, ist meine persönliche, subjektive Zusammenfassung von den Dingen, die ich spannend fand und mir notiert habe.
Ganz viele tolle Artikel, Angebote und Infos von Marc Lubetzki findet ihr unter marc-lubetzki.de

Marc Lubetzki

Ich bin vor etwa einem Jahr zufällig auf die Internetseite von Marc Lubetzki gestoßen und habe mir zwei Live-Webinare von ihm angesehen und in seinen Podcasts gestöbert.

Er war mir auf Anhieb sehr sympathisch, weil er langsam und bewusst spricht und bei einer Frage auch mal sagt, dass er über die Antwort erst einmal nachdenken möchte. Man merkt an jedem seiner Sätze, dass er nachdenkt und hinterfragt. Dass er keine Pauschalsätze raushaut, dass er nicht versucht, uns die Welt schön einfach und genormt zu vermitteln. Er lässt komplexes komplex und uneindeutiges uneindeutig. Bei seinen Beobachtungen entdeckt er viele wunderbare Details, an denen er uns teilhaben lässt.

Als Tierfilmer reist er zu wild lebenden Pferdeherden und verbringt oft mehrere Wochen in einem Gebiet und bei und in einer Herde. Seine Filme stellt er nach Themen geordnet zusammen und veröffentlicht sie unter Anderem wöchentlich in der Masterclass. Ich selbst bin nicht in seiner Masterclass angemeldet. Obwohl ich das sehr gerne wäre, habe ich mich bewusst dagegen entschieden, weil es mich komplett überfordern würde, jede Woche etwas zu erfahren, was ich vielleicht im Stall sofort umsetzen möchte und es nicht kann, weil Zeit oder Geld fehlen. Außerdem bevorzuge ich Bücher, weil ich diese in meinem Tempo lesen kann.

So war ich überglücklich, als sein erstes Buch „Im Kreis der Herde“ erschien und wurde nicht enttäuscht. In seiner wundervollen Art erzählt er von seinen Erlebnissen in wilden Pferdeherden. Man reist mit ihm in rauhe Landschaften und fühlt sich selbst im Kreis der Herde. Dass die Fotos absolut grandios sind, muss ich bei einem Tierfilmer wohl nicht dazu sagen.

Das Schönste: ich kann das Buch so oft lesen, wie ich möchte, kann es dekorativ ins Regal stellen, kann vor und zurück blättern, einzelne Sätze oder Kapitel markieren, etwas nachschlagen oder einfach nur entspannt Fotos gucken. Für mich bleibt das Buch einfach das Königsmedium. Schreibe mehr davon, Marc!